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Eine der ältesten Buchen Deutschlands wird Bhaga genannt ‒ und hat das Interesse der Forscher geweckt. Fotos: Martin Egbert

ZeitschriftenLesezeit 3 min.

Von einer uralten Buche und der Suche nach einem Schnelltest

Forschungsproben einer der ältesten Buchen Deutschlands haben gezeigt: Nur wenige genetische Merkmale entscheiden darüber, ob ein Baum Hitze und Trockenheit übersteht. Das wollen die Wissenschaftler nun für die Anpassung der Wälder an die Klimakrise nutzen – Klaus Sieg

Die letzten Meter zu Bhaga führen über einen schmalen Grat. Dann stehen Marco Thines und sein Kollege Stefan Wötzel nach einem halbstündigen Aufstieg durch den nordhessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee endlich vor einer der ältesten Buchen Deutschlands, die ihre weit verzweigten Wurzeln um und in die Felsen gekrallt hat. Der Baum ist eher ein Busch. Anstelle eines massiven Hauptstammes hat er wie bei Bäumen diesen hohen Alters üblich – viele Stämme und Äste ausbildet, die meisten aufgeplatzt und geschuppt, mit Pilzen und Moosen bewachsen. Fast könnte man die Rotbuche für eine Korkeiche halten.

Der Ausblick durch das bunte Herbstlaub hinunter auf den Edersee ist grossartig. Der Blick auf den Boden dagegen offenbart die extreme Kargheit des Standortes. Nährstoffe dürften in dem steilen und felsigen Grund schwer zu finden sein. Regenwasser kann sich auf ihm kaum halten, es fliesst sofort ab ins Tal. «In diesem Boden ist wirklich nicht viel zu holen», sagt Marco Thines und blickt vor seine Füsse, die in einem Paar schwarzer Outdoorschuhe stecken.

«If I can make it there Iˈll make it anywhere», sang Frank Sinatra einst und meinte New York. Er kannte diese Felsnadel im Kellerwald nicht, an die sich die uralte Buche bereits seit mindestens 350 Jahren festklammert.

Genau deswegen sind die Wissenschaftler nun schon zum sechsten Mal hierher gekommen. Die beiden Forscher am Biodiversität-und-Klima-Forschungszentrum der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt wollen herausfinden, warum Bhaga so lange an diesem Standort überlebt hat. Sie wollen die Informationen der DNA der Urbuche nutzen, um die Zukunft der Wälder in Europa zu sichern, die zum Teil dramatisch unter Hitze und Trockenheit leiden.

Auch der von den Wissenschaftlern nach dem indogermanischen Wort für Buche benannte Baum hat gelitten in den Jahrhunderten. Aber nicht so sehr wie andere Rotbuchen an diesem Standort, von denen viele aufgrund der trockenen und heissen letzten Jahre am Ende ihrer Energieressourcen sind. Marco Thines zeigt Exemplare mit sehr kleinen Blättern oder ohne ausgebildete Bucheckern. Auch nach bereits abgestorbenen, kahlen Bäume braucht er nicht lange zu suchen. Warum sind einige Bäume noch verhältnismässig fit, wo es anderen so miserabel geht? Wo doch alle mit dem gleichen Standort und Klima kämpfen müssen?

Aufschluss darüber soll das Genom Bhagas geben. «Dieser unzugängliche Teil des Waldes wurde wahrscheinlich noch nie bewirtschaftet», erklärt Marco Thines. Also bietet Bhagas Erbgut einen von Menschen unverfälschten Blick auf die Anpassung des Baumes an einen extrem unwirtlichen Standort.

Bhagas Genom dient aber auch bei einer Reihe unterschiedlicher Untersuchungen an europäischen Rotbuchen als Bezugspunkt. Die Wissenschaftler vergleichen es mit den genetischen Eigenschaften von Exemplaren, die an sehr warmen Orten im Südwesten Deutschlands, in gemässigten Zonen oder in sehr trockenen und kalten Regionen in Polen wachsen. Erforschen wollen sie auch die genetischen Eigenschaften jüngerer Rotbuchen hier im Kellerwald. Haben sie auf die Klimakrise schon reagiert? Findet über die Pollenverbreitung ein Genfluss aus Südeuropa statt, der zu einer langsamen Anpassung an Hitze und Trockenheit der Buchen auch bei uns führt?

Im Gepäck haben Marco Thines und Stefan Wötzel einen Schneider mit Teleskopstange, eine Kamera und einen Rucksack voller Röhren für die Proben. Vorsichtig tasten sie sich an dem steilen Hang entlang, fotografieren Blätter und Baumstämme, prüfen die Bodenbeschaffenheit, fachsimpeln und knipsen hier und da eine Knospe ab, die in einer der mitgebrachten Röhren verschwindet. Knospen enthalten bereits die voll ausgebildeten Blätter und die Gesamtzahl aller Gene.

Im Gegensatz zu Blättern oder Ästen sind Knospen durch eine äussere Schicht von Schuppen umgeben. Diese schützen die Blätter der Knospen vor Pilzen oder anderen Verunreinigungen. Thines und Wötzel legen die Röhren in eine Kühlbox. Dann steigen sie wieder hinab, um mit dem Auto zurück nach Frankfurt zu fahren.

Das Forschungszentrum der Senckenberg-Gesellschaft liegt am Rande des Bankenviertels. Hier schiessen Hochhäuser wie Pilze aus dem Waldboden. Im Labor pult Stefan Wötzel mit einer Pinzette die Schuppen von den Knospen. Dann werden mithilfe extremer Kälte, mechanischer Zerkleinerung, Chemikalien und Zentrifuge die einzelnen Zellen möglichst kleinteilig zerlegt und ihre DNA isoliert. Anschliessend setzt ein Computerprogramm das Genom wieder so zusammen, dass unser Auge es erkennen kann. «Das Programm rekonstruiert aus dem Hackfleisch die Kuh», erklärt Wötzel. Ein zweites Programm arbeitet dann die Unterschiede der Proben heraus. «Die Unterschiede sind es, die uns interessieren», so der Wissenschaftler. Das Ergebnis flimmert hinter ihm als bunte Buchstaben über den Bildschirm. Was sich nach schnellem Ablauf anhört, braucht Zeit. Zurzeit analysieren die Wissenschaftler noch die Daten von den Proben aus 2020. Grosse Datenmengen müssen bearbeitet werden. 400 Proben kommen nach dem Sequenzieren als 15 Terrabyte Daten zurück.

Die Buche verfügt über 60 000 Gene. Das sind erheblich mehr als die 23 000 des Menschen. Daraus lässt sich jedoch nicht unbedingt eine höhere Anpassungsfähigkeit folgern. Eine sehr wichtige Erkenntnis konnte Marco Thines bereits im Rahmen eines Forschungsprojektes mit anderen Wissenschaftlern, auch aus der Schweiz, im Fachmagazin «eLife» publizieren.

Ob eine Buche Trockenstress und Hitze überlebt, darüber entscheiden lediglich 90 Positionen von insgesamt 500 Millionen auf dem gesamten Genom. Hat ein Baum diese in der richtigen Form, hat er gute Chancen, die Klimakrise zu überleben. Das könnte die Forstwirtschaft nutzen, indem sie die evolutionäre Selektion anschubst. Zurzeit arbeitet das Team am Forschungszentrum der Senckenberg-Gesellschaft an der Entwicklung eines Schnelltests, mit dem ein Förster herausfinden kann, ob ein Baum über die erforderlichen 90 genetischen Merkmale verfügt. Mit einem handlichen Testgerät, das in zwei bis drei Jahren fertig sein soll, kann er Baumproben untersuchen und mit einer Datenbank abgleichen. In nur wenigen Minuten erfährt er, ob die einzelnen Buchen seines Waldes gegen Trockenheit und Hitze gewappnet sind. Sind sie es nicht, kann er die Exemplare bei der nächsten Ernte fällen. Haben sie die gewünschten genetischen Merkmale, lässt er die Bäume stehen und befördert somit die Verbreitung ihres Erbgutes in seinem Forst. Bei der Produktion von Setzlingen kann das Wissen über den genetischen Schlüssel für Trockenresilienz ebenfalls genutzt werden. «Bevor gebietsfremde Arten eingeführt werden, kann man so der Buche helfen, sich selbst zu helfen», sagt Marco Thines. Die Wissenschaftler gehen zudem davon aus, dass sich ihre Entdeckung auch auf andere Baumarten übertragen lässt. Die Kosten für so einen Schnelltest sollen nur wenige Euro betragen. 

Schnelltests auch für die Schweiz?

Der Verlust der Fichten durch die heissen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre war vorhersehbar. Doch Buchen galten lange Zeit als Hoffnungsträger für den Waldumbau. Um so mehr schockierten die Nachrichten vom Buchensterben im Süden Badens oder im Nationalpark Hainich, dem grössten zusammenhängenden Laubwald Deutschlands, der  ebenso wie der Nationalpark Kellerwald-Edersee – Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist. Zwar gelten Buchen als anpassungsfähig, aber nicht unbegrenzt. Eine 100 Jahre alte Buche braucht mehrere 1000 Liter Wasser pro Tag. Die Klimakrise sorgt deshalb schon jetzt für flächendeckendes Buchensterben. Marco Thines ist sich sicher, dass das, was die Bäume in den letzten Jahren durchgemacht haben, nichts ist im Vergleich dazu, was sie erwartet. Er geht aber auch davon aus, dass die Buche über einen ausreichend variablen Genpool verfügt, um sich an die Klimakrise anzupassen.

Ein Forschungsprojekt, das einen Gentest für Trockenheitsresistenz entwickelt, gibt es hierzulande anscheinend nicht. Dabei setzt die Klimakrise auch dem Wald in der Schweiz zu. Fachleute halten Gentests für Trockenheitsresistenz deshalb für sinnvoll. «Sie könnten in der Zukunft verwendet werden, um Wälder so zu managen, dass sie fitter für die trockenere und wärmere Zukunft sind», sagt  Christian Rellstab von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL, der selbst an der Anpassung und Genetik von Waldbäumen wie Eichen und Weisstannen forscht. Allerdings sieht er für die in dem Fachmagazin «eLife» publizierten Studie auch Einschränkungen, unter anderem weil diese auf sehr engem Raum durchgeführt wurde. «Untersuchungen von uns mit anderen Pflanzenarten zeigen, dass genetische Anpassungen an das Klima sehr lokal sein können. Das heisst, es ist unsicher, ob genau  dieser Gentest auch bei Buchen in der Schweiz oder zum Beispiel südlich der Alpen funktionieren würde», so der Wissenschaftler weiter. Zudem ignoriere die Studie assoziierte und symbiontische Organismen wie etwa Mykorrhiza-Pilze, die mit den Wurzeln von Pflanzen verbunden sind. Diese aber können sehr wichtig sein bei der Trockenheitsresistenz. «Vielleicht ist es ja auch der Genotyp des Symbionts, und nicht nur der des Baumes, der die Resistenz bestimmt.» 

Einen ähnlichen Ansatz wie das Forschungsprojekt der Senckenberg-Gesellschaft verfolgt das Projekt «Aquarel». Ein Team aus Mitarbeitern der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz, der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg und des Bayerischen Amtes für Waldgenetik untersucht die genetischen Eigenschaften urzeitlicher Traubeneichen.

Diese überdauern, ähnlich wie Bhaga und ihre Nachbarn, an schwer zugänglichen, unbewirtschafteten Felshängen. Sie kommen mit extrem trockenen Standorten zurecht. Deshalb gelten sie als vielversprechender Genpool für einen klimastabilen Wald. Das als «Assisted Migration» bezeichnete Konzept könnte helfen, trotz der Klimakrise Waldökosysteme zu sichern.

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