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Die Waldschneisen für eine bessere Zufuhr von kühler Luft laufen direkt auf das Alterszentrum Kehl am Waldrand der Stadt Baden zu. Foto: zVg

ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Kaltluftkorridore im Staatswald gegen Hitzestau im Alterszentrum

Lassen sich Kaltluftströme aus Wäldern lenken, um Siedlungen abzukühlen? Das Stadtforst- amt der Ortsbürgergemeinde in Baden (AG) prüft in einem schweizweiten Pionierprojekt, ob der Kehlwald gezielt für erholsamen Schlaf in heissen Sommernächten sorgen kann.

Sarah Sidler | Im Zuge eines regulären Verjünggungsschlags in einem Mischwald  haben Mitarbeiter des ortbürgerlichen Stadtforstamtes Baden im vergangenen Sommer vier Kaltluftkorridore in den Kehlwald geschlagen. Diese verlaufen direkt in Richtung Alterszentrum Kehl, welches am Stadtrand von Baden liegt. «Mit diesem Pionierprojekt wollen wir herausfinden, ob sich Kaltluftströme lenken lassen», sagt Georg von Graefe, Stadtoberförster von Baden, bei der Vorstellung des Projekts «Kühlwald» Ende Juni.

Bewaldete Hügel erzeugen durch die Verdunstung der Nässe in der Nacht Kaltluftströme. Dieser Prozess beginnt beim Eindunkeln und wirkt um 4 Uhr morgens am stärksten. Weil kühle Luft schwerer ist als warme, fliesst sie an Hanglagen nach unten. Der Badener Wald liegt mehrheitlich auf Kuppen und produziert demnach in warmen Sommernächten Kaltluft, welche in die aufgeheizten Siedlungen fliesst. Ein Effekt, der besonders während der immer häufigeren sommerlichen Hitzeperioden für willkommene Abkühlung sorgt. Denn sogenannte Tropennächte – Nächte mit Temperaturen über 20 Grad – verhindern bei vielen Menschen einen erholsamen Schlaf. Doch dieser ist besonders bei älteren und kranken Menschen wichtig. In den Hitzesommern 2003, 2015 und 2019 lag die hitzebedingte Übersterblichkeit in der Schweiz zwischen Juni und August bei 975 (6,9%), 804 (5,4%) beziehungsweise 521 (3,5%). Zum Vergleich: Im Jahr 2021 sind covidbedingt 2500 Personen mehr gestorben als erwartet. In den drei Hitzesommern sind somit fast so viele Personen an der Hitze gestorben wie 2021 an Covid. 

Gemäss Florian Immer, Geschäftsführer Alterszentrum Kehl, wären Kaltluftströme, welche die Siedlung in der Nacht kühlen, eine grosse Erleichterung für die Kehl-
Bewohnenden. «Ältere Menschen leiden besonders unter permanent hohen Temperaturen.» Und von Graefe meint: «Es wäre eine weitere grossartige Waldleistung zugunsten des Menschen, wenn sich nächtliche Kaltluftströme im Wald gezielt lenken liessen. Die Bewohnenden des Alterszentrums im Kehl in unmittelbarer Waldrand-
nähe würden erholsamer schlafen.»

22 Sensoren angebracht

In einer zweijährigen Messphase wird nun geprüft, ob und um wie viel die Kaltluftkorridore die Umgebung abkühlen. Um einen allfälligen Effekt des Versuchs am Badener Stadtrand zu eruieren, wurden bereits vor dem Holzschlag im vergangenen Sommer an diversen Standorten im Waldesinnern, am Waldrand und in der Alterssiedlung 22 Temperatursensoren angebracht. Zwei davon befinden sich auf der höchsten Fichte der Umgebung. Mittels dieser Sensoren wollen die Verantwortlichen des Stadtforstamts der Ortsbürgergemeinde Baden herausfinden, welcher der vier Korridoren am effizientestens wirkt. Obwohl alle zwischen 30 und 100 Metern lang sowie 20 und 30 Metern breit sind, ist keiner gleich gross wie der andere. Mit Ästen des jeweiligen Holzschlags wurden Wälle gebaut. Die Korridore werden nicht gemäht. Die Kosten für das Projekt wurden nicht bekannt gegeben, getragen werden sie durch das Stadtforstamt im Rahmen der regulären Bewirtschaftung. «Wir wünschen uns jedoch einen Sponsor für diesen Beitrag an die Bevölkerung ausserhalb des Waldes», sagt von Graefe. 

Die Bevölkerung, insbesondere die Bewohnerinnen und Bewohner des Alterszentrums Kehl, ist eingeladen, ihre Beobachtungen mitzuteilen. Um allfällige Kaltluftströme in Ruhe zu erspüren, steht am Waldrand zwischen einem Kaltluftkorridor und einem Gebäude eine sogenannte Kaltluftbank. Diese wurde für dieses Projekt vom Badener Designer Willi Glaeser konzipiert und finanziert. «Ich habe diese Bank extra niederschwellig designt. Sie soll wie aus dem Wald gewachsen aussehen», sagt er bei der Vorstellung des Projekts. Die Kaltluftbank bietet Platz für zwei Personen und ist mit einem kleinen Tisch davor versehen. Tafeln geben Informationen zum Versuch. Die Beobachtungen können mitteils eines QR-Codes mit dem Stadtforstamt geteilt werden. Unter anderem wird danach gefragt, wie der Tempera-
turunterschied zwischen der Kaltluftbank und dem Siedlungsraum empfunden wird.

Ist Projekt zukunftsweisend?

Ob das schweizweite Pionierprojekt im Badener Staatswald zukunftsweisend sein wird, entscheidet sich im kommenden Winter. Die Messungen laufen noch bis Ende 2023. «Derzeit zeigen wir lediglich das Versuchsdesign auf. Erste Resultate liegen voraussichtlich Anfang 2024 vor», so von Graefe. Bis dahin werden von einer Person aus dem nahen Umfeld eines Forstkommissionsmitglieds die Daten der Sensoren professionell ausgewertet. Ob bei einem positiven Effekt weitere Schneisen geschlagen werden, ist noch 
nicht klar.

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