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Die stolzen Tiere sind im Mittelland nicht überall gerne gesehen, weil sie im Wald Schälschäden verursachen können. Das grösste Schadenpotenzial besteht in Forstgebieten mit sehr dichten Altersklassewäldern. Foto: Pixabay

ZeitschriftenLesezeit 2 min.

«Hirsch und Mensch müssen sich erst noch finden»

Der Rothirsch erobert das Mittelland. «Wald und Holz» fragte den Wildbiologen und Fotografen Robin Sandfort, warum das Rotwild jetzt in dicht besiedelten Talregionen auftaucht. Und welche Auswirkungen auf den Wald im Mittelland zu erwarten sind.

Von Thomas Güntert* | Herr Sandfort, die Hirsche wandern aus der Alpenregion ins Mittelland ein. Was lockt sie an? Das Futter, oder breiten sie sich aus, weil es zu viele Tiere gibt?

Robin Sandfort: Das Rotwild hat früher in tieferen Lagen gelebt und wurde durch die Bejagung in die Berggebiete zurückgedrängt. Nun wandert es wieder zurück in den ursprünglichen Lebensraum, der mit Wiesen- und Agrarflächen eigentlich der bessere ist als der in den Bergen.

Rotwild ist im Mittelland aber nicht unbedingt willkommen, weil es im Wald Verbiss- auch Schälschäden verursacht, die den Forst zu teuren Wildschutzmassnahmen zwingt oder sogar kapitulieren lässt. Warum ist der Fichtenwald im Mittelland so attraktiv für das Rotwild?

Zuerst einmal besiedelt das Rotwild noch freie Lebensräume und kann dabei grosse Strecken zurücklegen. Wenn von aussen ein zu grosser Jagddruck auf das Rotwild ausgeübt wird, kann es das gute Äsungspotenzial ausserhalb des Waldes nicht nutzen und zieht sich zurück in eigentlich unpassende dunkle Fichtenwälder. Diese Einstände bieten zwar Regen-, Sturm-, Sonnenschutz, und vor allem Schutz vor dem Jäger, allerdings aber auch wenig bis gar keine krautige Äsung. Als Nahrung bleibt dann nur die Fichtenrinde. In den höheren Lagen und lichteren Beständen ist die Borke durch mehr Licht und Wind stärker ausgeprägt und nicht so dünn und schäl-
fähig wie in den dichten Reinbeständen des Mittellandes. Das grösste Schadpotenzial besteht in Forstgebieten mit sehr dichten Altersstufenwäldern, die mit attraktiven Offenlandflächen durchmischt sind, jedoch durch den Jagddruck für das Wild nicht nutzbar sind.

 Die Naturverjüngung spielt in der Zukunft des Waldes eine immer wichtigere Rolle. Wie wirkt sich die natürliche Verjüngung auf den Rotwildbestand aus?

Die Naturverjüngung verteilt und verringert das Risiko der Wildschäden, macht aber auch die Bejagung schwieriger. Für den Hirsch ist die natürliche Verjüngung 
weniger attraktiv, wenn es um eine Besiedelung geht, sie bringt aber in der gedeckten Fläche durchgängig Äsung.

Was hat der Forst in den letzten Jahren falsch gemacht?

Die Fichte wurde in ganz Mitteleuropa als Monokultur in tiefen Lagen gepflanzt, wo sie als solche eigentlich nicht hingehört. Einheitlich gepflanzt, alle gleich alt, und dadurch eben nicht durchmischt und nicht strukturreich. In vielen Flächen wurde ein falscher Waldbau in Kombination mit einer falschen Jagdbewirtschaftung betrieben.

 Und was konkret hat die Jagd falsch gemacht?

Durch Fütterung oder selektiven Jagdverzicht wurden überhöhte Wildbestände herangezüchtet, die der Lebensraum nicht ohne Schäden tragen kann. Auch eine zu intensive Bejagung ohne Rückzugsflächen kann kontraproduktiv sein: Denn das Rotwild wird aus den Freiflächen in Bereiche gedrängt, in die man jagdlich nicht hineinkommt und wo das Rotwild keine andere Möglichkeit hat, als Bäume zu schälen. Rotwild wird oft auch zu intensiv bejagt, ohne dabei Strecke zu machen. Das führt dazu, dass das hochintelligente Tier lernt, dem Jagddruck auszuweichen und die Erfahrungen auch an seine Nachkommen und innerhalb des Rudels weiterzugeben. So wird es immer schwieriger, das Rotwild zu bejagen.

 Wie stark ist der Populationszuwachs beim Rotwild?

In einem neu wiederbesiedelten Lebensraum wie dem Mittelland sind die Zuwachsraten meist höher als in etablierten Rotwildpopulationen. Die Wachstumsrate des Rotwilds ist allerdings limitiert, da eine Hirschkuh in der Regel nur ein Kalb setzt und nicht das Potenzial für mehrere Kälber besteht. Unkontrolliert und mit einem zu den Hirschkühen verschobenen Geschlechterverhältnis kann aber auch ein kleiner Anfangsbestand schnell anwachsen.

 Würde eine natürliche Regulierung beim Rotwild ausreichen?

Eine natürliche Regulierung gäbe es, wenn man nicht mehr jagen würde und der Bestand durch Wolf, Luchs, Krankheiten und Konkurrenz geregelt würde. Das Mittelland ist aber natürlich eine Kulturlandschaft, in der wir Menschen solche Schwankungen aufgrund der entstehenden finanziellen und ökologischen Schäden nicht akzeptieren können. Eine Regulation wird daher notwendig sein.

 Wie soll der Rothirsch bejagt werden? 

In erster Linie braucht es dafür ein koordiniertes Vorgehen, um den Jagddruck auf Schadflächen hoch und auf anderen Flächen niedrig zu halten. Jagdliches Know-how aus den rotwild-erfahrenen Kantonen und eine entsprechend angepasste jagdliche Infrastruktur mit Freihalteflächen beziehungsweise Schussschneisen werden hier hilfreich sein. Die Grundbesitzer müssen diese Massnahmen allerdings mittragen. Das Mittelland wird seinen eigenen Umgang mit dem Rotwild finden.

 Was genau verstehen Sie unter Schussschneisen?

Schussschneisen sind über 100 Meter weite und 15 Meter breite Streifen ohne höheren Bewuchs. Über diese Schneisen wechselndes Wild kann angesprochen und dann erlegt werden. Auf kurzen Rückegassen würde das Wild zu schnell queren; weder ein sicheres Ansprechen noch ein sicherer Schuss wären hier möglich. Eine ausreichende Länge von mehr als 100 Metern stellt sicher, dass der Wind den Jäger nicht verrät und das überlebende Wild nach dem Schuss keine Verbindung zum Hochsitz und zum Jäger knüpft.

 Würden auch breitere Rückegassen eine intensivere Bejagung begünstigen?

Rückegassen können durchaus zu Schussschneisen verbreitert werden. Wichtig sind die Ausrichtung auf die Ansitzeinrichtung und das Anschneiden von natürlichen Wildwechseln. Die Streifen müssen breit genug sein, um ein sicheres Ansprechen vor der Schussabgabe zu ermöglichen.

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