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Ein Bild, das bald auch in der Schweiz Realität werden könnte: Bei Calau, einer Kleinstadt im deutschen Landkreis Oberspreewald-Lausitz, dreht ein Windrad direkt am Waldrand. In der Schweiz stehen auch Waldstandorte zur Debatte. Foto: zvg/IWB

ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Das Parlament will den Ausbau der Windkraft beschleunigen

Ein entsprechender Gesetzesentwurf hat bereits die erste Hürde im Nationalrat genommen. Doch was würde die Offensive für künftige Windkraftwerke im Wald bedeuten? Eine Auslegeordnung.

Sabine Vontobel* | Windparks sind hierzulande hoch umstritten. Immer wieder begehen die Gegner der imposanten Anlagen den Rechtsweg und blockieren die Projekte über Jahre hinweg. Das Parlament will einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation finden. Der Nationalrat hat deshalb dem Gesetzesentwurf der Umwelt- und Energiekommission vor kurzem zugestimmt. Segnet im Sommer auch der Ständerat das Vorhaben ab, sollen bald nicht mehr wie bis heute die Standortgemeinden, sondern die Kantone über die Baubewilligung verfügen. Dies gilt allerdings nur für «Anlagen im nationalen Interesse», die bereits eine rechtskräftige Nutzungsplanung vorweisen. Damit soll der Streit um die Windräder den lokalen Schauplatz verlassen und von weniger voreingenommener Instanz beurteilt werden. Der Verband Freie Landschaft Schweiz hat in einer Medienmitteilung angekündigt, «das Referendum gegen den Windexpress zu prüfen». 

Klar ist heute: Einen Windpark zu bauen, ist kein einfacher Prozess. Von der ersten Idee bis zur Umsetzung muss er mehrere Hürden überwinden und dabei hohen Stan-
dards genügen. Der Bund gibt die Ziele vor, die Kantone legen in ihren Richtplänen die Standorte fest, der Bund muss diese genehmigen, die kantonalen Fachstellen prüfen die Umweltverträglichkeit von Windparks. Und am Schluss entscheidet bis anhin eben die betroffene Gemeinde, ob die Windräder gebaut werden. 

Gemäss EnergieSchweiz ist die Bodenbelastung durch die grossen Rotoren klein, verglichen mit anderen Energieanlagen. «Landwirtschaftliche Betriebe können die Fläche unterhalb des Windrades bewirtschaften», heisst es auf der Website von EnergieSchweiz. Der Rückbau einer Wind-
energieanlage dauere maximal einen Monat, verursache keine zusätzlichen Kosten und hinterlasse keine sichtbaren Spuren. «Windparks werden meist schon vor dem Bau dazu verpflichtet, Geld für einen Rückbau anzulegen. Zum Rückbau gehört auch das Entfernen der elektrischen Zuleitungen und der Zufahrtswege», heisst es weiter. 

Kein Missbrauch von Wald als Gewerbefläche

So weit, so gut. Die Frage jedoch, ob eine Vereinfachung des Zubaus von Windenergie nicht einer Zweckentfremdung der Landschaft Tür und Tor öffnet, ist berechtigt. Windkraftwerke im Siedlungsgebiet sorgen wegen ihrer Lautstärke und ihrer mächtigen Erscheinung bereits für vehemente Gegenwehr. Wie sieht dies nun aber bei Windrädern im Wald aus? Auch hier kann der gestraffte Weg durch die Instanzen Folgen haben.

Für den Bau, den Transport und die Wartung müssten Waldflächen gerodet werden. Alleine die Anlage nimmt eine Fläche von rund 400 Quadratmetern ein. Zusätzlich sind noch breite Zufahrtswege für Krane und Schneisen durch den Wald nötig. Prinzipiell bedauere er es, dass die Schweiz in Sachen Windkraft so hinterherhinke, meint Christian Kleiber, Revierförster der Bürgergemeinde der Stadt Basel. Doch könne die Verlagerung in den Wald keine Lösung sein. «Der Wald steht heute vor riesigen Herausforderungen», sagt er. «Wir müssen alles daransetzen, ihn zu erhalten. Wenn wir ihn langfristig als Temperatursenker, Staubfilter, Wasserspeicher, Schutz vor Naturgefahren, als Lebensraum mit grosser Biodiversität und als CO2-Speicher nutzen wollen, dann müssen wir in den Wald investieren und ihn nicht als Gewerbefläche missbrauchen.» Die Verlockung für Waldbesitzer sei sicherlich gross, da sie mit Windenergie-
anlagen mehr Geld verdienen würden als mit dem Verkauf von Holz, so Kleiber. «Aber dieses Geld bringt den späteren Generationen die elementaren Funktionen des Waldes nicht zurück. Persönlich bin ich überzeugt, dass wir in Zukunft stärker auf den Wald als auf den Strom angewiesen sind.»

Auch die Burgergemeinde Bern zeigt sich einer möglichen Zunahme von Windparks im Wald gegenüber skeptisch. «Aktuell liegen uns keine konkreten Windkraftprojekte vor», sagt Mediensprecherin Stefanie Gerber Frösch. Ein allfälliges Gesuch würde die Burgergemeinde Bern prüfen und eine Interessenabwägung vornehmen. «Grundsätzlich denken wir aber, dass der Bau von Windrädern im Wald einer Zweckentfremdung von Waldboden gleichkommt. Windkraft im Wald hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Insbesondere führen Bau, Betrieb und Unterhalt zu Werkverkehr und zu einer Beanspruchung des Bodens.» Je nach Standort bestehe zudem die Gefahr, dass wertvolle Naturgebiete und gefährdete Vogelarten bedroht würden.

Stufengerecht abzuwägen, ist wichtig

In einer Zeit, in der die Angst vor Stromknappheit umgeht und saubere Energieerzeugung immer wichtiger wird, scheinen Windkraftanlagen die Lösung aller Probleme zu sein. Die Windkraft hat in der Schweiz ein grosses Potenzial. Standorte im Jura oder in den Alpen versprechen finanzielle Erträge. Windanlagen sind auch deshalb interessant, weil sie den überwiegenden Teil des Stroms im Winterhalbjahr liefern und so die Photovoltaikanlagen und die Wasserkraft ideal ergänzen. Das sagt auch Reto Müller, Mediensprecher der Industriellen Werke Basel (IWB). «Gerade im Winter tragen Windkraftwerke zur Versorgungssicherheit bei, indem sie die geringere Solar- und Wasserproduktion kompensieren.» Jeder Standort für Windkraftanlagen müsse individuell geprüft werden. «Dabei möchten wir bewaldete Gebiete nicht generell ausschliessen.» In der Schweiz gebe es noch keine Anlagen im Wald. Erfahrungen im Ausland zeigten allerdings eine positive Bilanz. 

Schon jetzt steht fest: Ein schwieriges Abwägen zwischen dem Schutz der Natur und der Energieversorgung scheint unausweichlich. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) ist sich dieses Konfliktes bewusst. «Das BAFU wird von den zuständigen kantonalen Behörden angehört, sobald für den Bau einer Wind-
energieanlage eine Waldfläche von mehr als 5000 m2 gerodet werden soll», erklärt Michael Husistein, Sektionschef Walderhaltung und Waldpolitik der Abteilung Wald. Denn gemäss Artikel 5 des Bundesgesetzes über den Wald muss bei jedem konkreten Projekt von Windparks, das Waldareal beansprucht, beurteilt werden, ob die Rodungsbedingungen erfüllt sind. «Im Rahmen einer detaillierten Abwägung wird geprüft, ob das Interesse am Projekt das Interesse an der Walderhaltung überwiegt», so 
Husistein. Weiter werde untersucht, ob die Rodung nicht zu einer Gefährdung der Umwelt (Lärm oder Grundwasser) führe und ob dem 
Natur- und Heimatschutz genügend Rechnung getragen werde. 

Schweizweit gibt es aktuell rund 60 Projekte von Windkraftwerken, die sich in einem Verfahren bei den Behörden der Kantone und des Bundes befinden. Wald-
areal ist gemäss BAFU in rund einem Viertel der Fälle betroffen. «Soll ein Mast ganz im Wald stehen, bedarf es in der Regel einer Gesamtrodungsfläche von rund 0,5 bis 1 Hektare.» Interessenkonflikte zwischen Energieversorgung und Naturschutz seien also keine Seltenheit, fügt Husistein an. «Bei solchen Vorhaben müssen wir gestützt auf die geltende Rechtsordnung immer den Einzelfall anschauen und stufengerecht abwägen.» Alle übrigen Fragen, beispielsweise bezüglich des Entgelts, müssten zwischen dem Betreiber der Anlage und dem Waldbesitzer geregelt werden. «Dazu wären Empfehlungen und Musterbeispiele hilfreich. WaldSchweiz als Dachverband der Waldeigentümer könnte hier eine wichtige Rolle spielen», so das BAFU.

WaldSchweiz als Vertreterorganisation der Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer in der Schweiz ist dabei, ein Positionspapier zu erarbeiten, das noch dieses Jahr vorliegen soll. Mehrere Waldbesitzer anerkennen grundsätzlich die Notwendigkeit, Windkraftanlagen für die Energiesicherung in der Schweiz zu errichten. Wie weit der Wald als möglicher Standort für die Gewinnung erneuerbarer Energien zur Verfügung gestellt werden kann, muss bei jedem Projekt individuell geprüft werden. Sicher ist aber jetzt schon: Die Interessen der Waldbesitzer müssen gewahrt werden. Deshalb werden neben den ökologischen Punkten auch die finanzielle Beteiligung sowie eine angemessene Entschädigung für den Waldstandort Inhalt von Diskussionen sein. 

Schwerwiegende Eingriffe zu erwarten

Die Bestrebungen des Parlaments sorgen bei Michael Casanova, Projektleiter Gewässerschutz und Energiepolitik bei Pro Natura,  für Sorgenfalten. «Der Wald in der Schweiz ist jener Lebensraum, der trotz starker Nutzung heute weniger beeinträchtigt ist als die meisten anderen Lebensräume», sagt er. Die Waldwirtschaft habe in den letzten Jahrzehnten vermehrt nachhaltige Bewirtschaftungsformen realisiert. «Zudem schützt das Waldgesetz den Wald vor grös-
seren Rodungen oder der Umwandlung in Bauland.» Wenn nun aber die Hürde für industrielle Anlagen im Wald derart herabgesetzt würde, komme es unweigerlich zu schwerwiegenden Eingriffen in diesen einzigartigen und so wichtigen Lebensraum. «Ein erleichterter Zugang zu Waldflächen für Windenergieanlagen dürfte ganze Waldgebiete industrialisieren und hat, je nach Standort, grosse Auswirkungen auf den Wald als natürliches Habitat.» Die riesigen Industrieanlagen und deren Rotoren, die künftig über den Baumwipfeln drehen könnten, würden die Waldgebiete schon rein optisch verändern. «Daneben gilt es zu bedenken, dass störungsemp-
findliche Arten in den Wäldern leben, die wir vertreiben würden. Wegen der starken Zersiedelung der Schweiz würden sie kaum Ersatzlebensräume finden.» Windkraft per se ist durchaus sinnvoll. Es kommt einfach nur auf den richtigen Standort an. «Man sollte Naturschutz und saubere Energiegewinnung nie gegeneinander ausspielen, sondern gemeinsame Lösungen suchen», betont Michael Casanova. 

Einverstanden – aber mit Vorbehalten

Die Wahl des Standortes ist auch für Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) zentral: «Es geht immer um das richtige Mass. In Einzelfällen können Waldgebiete aus Umweltsicht für den Bau von Windanlagen akzeptiert werden, besonders dann, wenn es sich um lichte Wälder oder Waldweiden handelt.» Windparks seien allerdings unerwünscht, wenn sie das Ökosystem und auch die Nutz-, Erholungs- und Schutzleistungen des Waldes beeinträchtigten. Generell stellt sich die SL hinter die Wind-Offensive des Parlaments – allerdings mit Vorbehalten. «Die Vereinfachung des Baubewilligungsverfahrens darf wirklich nur für die Windparks angewendet werden, die bereits eine rechtskräftige Nutzungsplanung aufweisen. Wir haben aber die Befürchtung, dass die Beschleunigung der Verfahren zum Leitmotiv wird. Dies droht die Planungsqualität und den sorgfältigen Umgang mit Natur, Wald und Landschaft zu schwächen.» Rodungen von gesundem Wald seien nur dann überhaupt denkbar, wenn eine kantonale Planung keine besseren Windstandorte ausscheiden könne. Gerade bewaldete Hügelkuppen seien für Windparks ausserdem komplett ungeeignet, weil dort statt effizienter Pärke nur Einzel-
anlagen mit überteuertem Netzanschluss und kostspieliger Erschliessung gebaut werden könnten. «250 Meter hohe Anlagen sprengen ausserdem die topografischen Proportionen von hügeligen, kleinräumigen Landschaften.»

Hinzu kommt: Windenergieanlagen können brennen. In Deutschland, wo die Zahl der Windräder auf Feldern, Weiden und in Wäldern stetig zunimmt, kommt es immer wieder zu gefährlichen Bränden. Diese stellen die Feuerwehren vor ganz neue Herausforderungen. Es gibt bisher nämlich kaum Ausrüstung für das Löschen von Bränden in so grossen Höhen. Die Feuerwehr kann in der Regel nur zusehen und zu verhindern versuchen, dass sich der Brand auf die angrenzende Landschaft und den dichten Wald ausbreitet.

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