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Über eineinhalb Millionen Fichtenrechtecke zieren dieses Haus im Seeguet in Wilerzell im Kanton Schwyz. Foto: zVg

ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Renaissance von Schweizer Holzschindeln im Fassadenbau

Aufgrund ihrer natürlichen Materialien und Langlebigkeit sind Schindeln wieder sehr beliebt. 20 Prozent mehr Schweizer Holz verarbeitete die Schindelfabrik Müller in Pfäffikon (SZ). Die Nachfrage nach dem heimischen Baumaterial steigt seit einigen Jahren wieder.

Sarah Sidler* | Mitten in Pfäffikon, vor der Schindelfabrik Müller, liegt ein Schatz: Eine Lastwagenladung rund 300 Jahre alter Lärchenstämme aus dem Engadin. «Solch gutes Holz ist derzeit ein rares Gut», erläutert Mitinhaber Beat Dönni. Wegen des Ukrainekriegs hat Russland die Lieferung von Lärchenholz in die EU eingestellt. So fehlen davon nun wöchentlich 1000 Quadratmeter, was die Preise etwa verdoppelt. Bezahlte man vor dem Krieg rund 190 Franken für einen Kubik, sind es heute bis zu 450 Franken. Der ausgebildete Zimmermann hat vor vier Jahren in der Schindelfabrik zu arbeiten begonnen. Nun ist Beat Dönni daran, den Betrieb zu übernehmen, der seit 400 Jahren in den Händen der Familie Müller liegt und seit 1924 am selben Standort im Kanton Schwyz produziert. 

Bedächtig streicht der 50-Jährige über die prächtigen Lärchenstämme aus dem Engadin. Dass die Fabrik derzeit trotz des Ukrainekrieges an guten Rohstoff gelangt, verdankt sie einer über 100-jährigen Zusammenarbeit mit Bündner Förstern. Diese wissen genau, welches Holz für Schindeln gefragt ist: «Wir können nur jeweils 10% pro Schlag gebrauchen, da die Stämme möglichst astlos und wenig Wind ausgesetzt sein sollten», so Beat Dönni. Stehen die Bäume geschützt, seien sie einfacher zum Spalten. Da die besagten Lärchen rund 1200 Meter über Meer langsamer wachsen als diejenigen im Tal, verfügen sie über feine Jahrringe. Diese machen das Holz stabil und langlebig.»

Bis 200 Jahre lang können Schindeln aus Lärchenholz gebraucht werden. Deshalb verzeichnet die Schindelfabrik Müller auch bei dieser, teureren Holzsorte keinen Umsatzrückgang: «Wer einen Ferrari fahren will, der will ihn unbedingt und dem ist der Preis egal», so Beat Dönni. Schindeln aus Lärchenholz sind jedoch nicht nur wegen ihrer hohen Qualität gefragt, sondern auch wegen der schönen rötlichen Färbung. Diese ist dem hohen Harzgehalt des Holzes geschuldet. 

Naturbelassene und lokale Baustoffe

Schindeln aus Lärchenholz müssen nicht gestrichen werden, im Gegensatz zu solchen aus dem günstigeren Fichtenholz. Etwa 20% weniger kosten Schindeln aus Fichten, was wohl auch der Grund dafür ist, dass diese von 70 Prozent der Kunden gefragt sind. Sehr gefragt sogar: «Wir können uns nicht über zu wenig Arbeit beklagen. Die Nachfrage nach Schindeln steigt seit einigen Jahren stetig an», erläutert Beat Dönni. Seitdem die Thematik der Klimaerwärmung in aller Munde ist, entscheiden sich die Leute wieder vermehrt für naturbelassene und lokale Baustoffe. Das organische Material legt sich bei Nässe und Feuchtigkeit an die Fassade und schützt diese so optimal. Trocknet die Schindel, wölbt sie sich leicht, sodass auch der Untergrund problemlos trocknet. Schindeln isolieren und brechen Schallwellen. Je nach konstruktivem Schutz, sprich Vordach, können die Schindeln sehr alt werden. An stark besonnten und der Witterung ausgesetzten Stellen, wie Abwürfen, müssen sie jedoch nach 30 bis 40 Jahren ersetzt werden.

Die Schindelfabrik Müller verarbeitete 2022 rund 600 Kubikmeter Holz. Dies entspricht 22 Lastwagenlieferungen plus Anhänger. Das sind rund 20% mehr als im Vorjahr. Nicht ohne Grund: Seitdem das Erdöl wieder teurer ist, können unbehandelten Fichtenschindeln preislich mithalten. Eine Schindelfassade ist nicht mehr teurer als eine aus Eternit oder eine mit einer Blechverkleidung. Aber sie müsse gefallen. «Schindeln feiern derzeit eine Renaissance», so Dönni. Dies hätten sie unter anderem dem Boom für Holzelementhäuser zu verdanken, welcher der Holzrahmenbau erzeugt habe.  

Vater und Sohn vom Handwerk fasziniert

Beat Dönni wurde zum Schindelmacher, da der gelernte Zimmermann nach Jahren im Verkauf wieder körperlich arbeiten wollte. «Ich wollte mich verändern, etwas Einzigartiges aus Holz herstellen.» Sein Sohn machte ihn schliesslich auf diese spezielle Fabrik mitten in Pfäffikon aufmerksam. Auch er zeigt Interesse an der Schindelfabrik. Und wie es der Zufall wollte, stand diese zum Verkauf. «Hier fasziniert mich, dass wir von A bis Z alles selbst produzieren.» Glücklicherweise verstehe sich Beat Dönni sehr gut mit dem bisherigen Inhaber Arno Müller, welcher nach der Übergabe weiter im Betrieb tätig sein wird. Er hat all die Maschinen für die Herstellung der Schindeln hergestellt und weiss deshalb, wie diese zu warten und reparieren sind. 

Zum Teil über 100 Jahre alt sind die Maschinen, welche in Pfäffikon im Einsatz sind. So etwa der grosse automatische Fuchsschwanz, welcher die Stämme in einem ersten Schritt in Rugel schneidet. Diese spaltet einer der fünf Mitarbeiter von Hand so, dass keine Äste in den Rohlingen, den sogenannten Möseln, vorkommen. Dann kommen die rund 15 Zentimeter hohen dreieckigen Holzstücke in die Dampfanlage, worin diese wie Poulets eineinhalb Stunden lang bei 100 Grad im Dampf gedreht werden. Diese Maschine wird mit Holz beheizt, das die Fabrik nicht verwenden kann. Das Restholz beheizt zudem zwei umliegende Häuser. Die vom Dampf relativ weichen Mösel werden in einem nächsten Schritt am Spaltschnittrad den Fasern entlang zu Schindeln gespalten. Dies geschieht, indem die Mösel von einem weiteren Mitarbeiter von Hand an das Rad gepresst werden. Das erste Spaltschnittrad hat der Ururgrossvater von Arno Müller 1874 patentieren lassen. 

Nach der Qualitätskontrolle der Schindeln durch zwei weitere Mitarbeiter werden diese zu Glattschirmschindeln in die gewünschten Formen wie rund Stutzeck oder Rechteck gestanzt und wandern schliesslich zur letzten «etwas zickigen» Maschine, wie Beat Dönni meint. Diese näht jeweils 18 Stück der feinen Holzbrettchen zusammen, bevor sie dann von lokalen Zimmermännern, Dachdeckern, Schreinern oder Spenglern an den Häusern befestigt werden. Für einen Quadratmeter werden 357 Schindeln benötigt, was im Fall der Rechteckschindeln zwei Bünden entspricht. «Für das Anbringen der Schindeln an den Häusern beauftragen wir oder die Architekturbüros jeweils Firmen in der Nähe des Auftraggebers», erläutert Beat Dönni. Er beliefert Kunden in der ganzen Schweiz mit seinen Erzeugnissen. Besonders Dachdecker seien während der Wintermonate froh um diese Arbeit, da um diese Jahreszeit wenig Häuser gebaut und wenig Dächer erneuert werden.

Ein Kleid aus Schindeln

Wie ihre Maschinen stellt die Schindelfabrik Müller auch die Formen zum Stanzen der Schindeln selbst her. 36 verschiedene bieten sie an. Diese entsprechen traditionellen Mustern und umfassen unterschiedliche Breiten und Rundungen. Sie heissen Antik, Dreikant, Flachrund, Spitz, Segment oder Herz, um nur einige aufzuzählen. 80% der Kunden der Schwyzer Fabrik verlangen jedoch nach runden Schindeln. 

Einzelne Formen sind Einzelanfertigungen, wie beispielsweise diejenige für das Glashaus beim Goetheanum in Dornach (SO). Das eindrückliche Kongresszentrum nahe Basel ist eines der Prestigebauten der Schwyzer Fabrik. Stolz zeigt Beat Dönni Bilder vom Dach des Grossmünsters in Zürich oder den Kirchenturm in Davos Platz. Doch auch ganze Siedlungen von neuen Mehrfamilienhäusern hat die Firma mit Schindeln versehen wie das neue Zentrum von Willerzell am Sihlsee. Und im Mai soll im Rahmen einer Kunstausstellung im Zürcher Hauptbahnhof gar ein Kleid einer Figur, versehen mit den Pfäffiker Schindeln, zu bestaunen sein. Mit Schindeln aus dem schön gefärbten Lärchenholz, versteht sich.

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