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Wieder einmal durch Wald und Wiesen gehen, die Geräusche und die Gerüche der Natur wahrnehmen – das ist Waldbaden. Foto: Melanie Uhkötter

ZeitschriftenLesezeit 2 min.

Was genau ist Waldbaden beziehungsweise Shinrin-Yoku?

Kann man im Wald baden? Das geht tatsächlich. Was es damit auf sich hat, erklärt Nadine Gäschlin, Gründerin der Waldbaden Akademie Schweiz. Und auch, welche Chancen diese Art des Waldaufenthalts Gemeinden, Waldbesitzern und dem Forstpersonal eröffnet.

Interview von Susanne Stettler* | Was genau  ist Waldbaden beziehungsweise Shinrin-Yoku? 

Es handelt sich dabei um eine achtsamkeitsbasierte, stille und entschleunigende Entspannungspraxis im Wald für alle Alters- und Fitnessklassen. Die Teilnehmenden lernen, wie sie etwas für ihr Wohlbefinden tun und gleichzeitig das Naturumfeld schätzen, schützen und bewahren können. 

In Japan gehören Waldbesuche zur Gesundheitsvorsorge, und an japanischen Universitäten gibt es den Forschungszweig «Waldmedizin». Warum? 

Die Waldmedizin ist in Japan vor genau 40 Jahren entstanden. Sie orientiert sich stark am Leitgedanken der Präventivmedizin. Ende der 1970er, Anfang der 1980er-Jahre hatte Japan stark mit stressbedingten Folgeerkrankungen zu tun, die das Gesundheitssystem belasteten und die Kosten für krankheitsbedingte Fehltage in die Höhe schnellen liessen. Das Gesundheitsministerium suchte deshalb einen präventiven Ansatz, der die Kostenexplosion stoppen könnte. 1982 wurde dann der erste Healing Forest eröffnet, der Akasawa Recreational Forest. Inzwischen gibt es in Japan ungefähr 70 solcher Erholungs- oder Heilwälder. 

 

Wie hat das Waldbaden eigentlich den Weg nach Europa und in die Schweiz gefunden?

Von seinen Ursprungsländern Japan und Südkorea nach Australien und Amerika und von da aus nach Deutschland und dann weiter in die Schweiz.

Sind das einfach nur ein paar Esoteriker, die sich dem Waldbaden hingeben?

Waldbaden – oder eben Shinrin-Yoku – ist eine wissenschaftlich erforschte Praxis, die auf Elementen des Zen-Buddhismus, des Shintoismus, der Achtsamkeitslehre und der Traditionellen Chinesischen Medizin aufgebaut ist. Wir haben mit Esoterik nichts zu tun. Jedoch gibt es Anbieter, die Waldbaden/Shinrin-Yoku zusammen mit schamanischer Praxis oder esoterischen Inhalten vermitteln. Davon distanzieren wir uns aber seitens des Shinrin-Yoku Dachverbands Schweiz klar, und auch ich persönlich in meinen strikt wissenschaftlich basierten Ausbildungsgängen in der Waldbaden 
Akademie Schweiz.

Aber bringt Shinrin-Yoku denn wirklich etwas?

Mittlerweile gibt es fundierte Studien aus Japan, England, Amerika und auch Europa, welche die gesundheitsfördernde Wirkung auf Körper, Geist und Psyche klar belegen, und so wird Waldbaden immer mehr im Umfeld von betrieblichem Gesundheitsmanagement und im klinischen Umfeld als zusätzliche Methode im Zusammenhang mit Stressmanagement und Gesundheitsfürsorge unterrichtet.

 

Auch in der Schweiz kommt Waldbaden langsam in Mode. Müssen Forstwarte, Förster und Waldbesitzer jetzt Angst haben, dass überall Pflanzen beschädigt und niedergetrampelt werden?

Ganz und gar nicht! Im Gegenteil: Wir sensibilisieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Veranstaltungen für die Bedürfnisse von Fauna und Flora. Zudem finden unsere Waldbaden-«Rundgänge» zu 80 Prozent auf Wegen und die restlichen 20 Prozent auf bereits vorhandenen Waldplätzen statt. Wir gehen weder ins Unterholz noch kreieren wir eigene Wege. Zudem ist mir sowohl als Präsidentin des Shinrin-Yoku Dachverbands Schweiz, wie auch als Gründerin und Leiterin der Waldbaden Akademie Schweiz eine gute Zusammenarbeit mit den Forstwarten, Förstern und Waldbesitzern ein zentrales Anliegen. So müssen meine Absolventinnen und Absolventen in ihrer Abschlussarbeit nachweisen, dass sie sich mit dem zuständigen Förster oder der zuständigen Försterin in Verbindung gesetzt haben. Ein beidseitig respektvolles Miteinander ist für mich die unumgängliche Basis.

 

Wie ist das Echo von der «Waldseite»?

Tatsächlich gibt es noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten, was das Waldbaden betrifft: In manchen Köpfen geistern viele Vorurteile gegen die Art und Weise, wie wir im Wald unterwegs sind, und gegen das, was wir tun. Deshalb ermuntere ich meine Absolventen auch immer, die zuständigen Forstwarte und Förster einmal an eine Veranstaltung einzuladen. In zahlreichen Regionen konnten wir so schon sehr gute Erfahrungen machen. 2023 haben wir den Erfahrungsaustausch mit den Forst- und Landwirtschaftskreisen als Hauptpunkt in unsere Vereinsagenda 2023 aufgenommen.

 

Werden die Tiere durch die Waldbaderinnen und Waldbader nicht gestört?

Wir sind sehr darauf bedacht, die Wildschutzzonen konsequent zu meiden. Meine Absolventinnen und Absolventen müssen die Wälder, in denen sie ihre Veranstaltungen durchführen möchten, vorgängig begutachten und sehr gut kennen – vor allem auch, was Wildschutzzonen, Naturschutzzonen, Fauna und Flora betrifft. Unsere Anlässe finden zudem in kleinen Gruppen von etwa zwei bis zehn Personen statt, wir sind zumeist still oder sehr leise und sehr langsam unterwegs. Das Wohl der Tiere sowie der Schutz der Pflanzen liegen uns sehr am Herzen und bildet einen thematischen Teil unserer Veranstaltungen. Der Dialog mit den Forst-Fachleuten ist uns ebenfalls ein zentrales Anliegen.

 

Sie haben bereits Waldbaden-Seminare mit Forstwarten und Förstern abgehalten. Was konnten diese dabei lernen?

Ja, ich hatte Forstleuten aus dem Kanton Zürich als Teilnehmer an meinen Seminaren. Sie haben eine ganz «normale» Waldbaden-Veranstaltung erlebt und dabei das achtsamkeitsbasierte Eintauchen in den Wald kennenglernt. Darüber hinaus konnten sie im Seminar die Praxis des achtsamen Gehens, sinnesaktivierende Übungen und Qigong-Übungen kennenlernen. 

Inwiefern unterschieden sich Wald-Profis von «normalen» Seminar-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern?

Im Gegensatz zu den Freizeitwaldbesuchern ist der Wald für Wald-Profis ihr Arbeitsumfeld. Aus der Gesundheitspsychologie wissen wir jedoch, dass für die gesundheitsfördernde Wirkung einer Entspannungspraxis der Abstand zum Alltagserleben ein äusserst relevanter Faktor ist. Ein Landwirt macht ja auch nicht unbedingt Ferien auf dem Bauernhof, um sich zu erholen. Will heissen: Wald-Profis sehen im Wald immer Arbeit. Trotzdem waren die Workshops und der Austausch mit Forst-Profis stets sehr interessant und lehr- und erlebnisreich für beide Seiten.

 

Könnten von den Gemeinden beziehungsweise deren Forstpersonal organisierte Waldbaden-Kurse auch eine Chance für Waldbesitzer und Wald-Profis sein, den Menschen den Wald wieder auf eine ganze andere Art näherzubringen?

Absolut. Waldbaden eignet sich als neue Methode, um das Wald- und Naturumfeld wieder mehr schätzen zu lernen. Darüber hinaus lässt sich Waldbaden sehr gut mit bereits bekannten Angeboten wie etwa Baumführungen kombinieren.

 

Wie sieht es mit dem touristischen Potenzial aus?

In Österreich gibt es ganze Regionen, die sich als Waldbaden-Kurorte präsentieren und sich dem langsamen Tourismus verschrieben haben. Eine solche Entwicklung wäre auch bei uns möglich und für einige Regionen sicher sehr lohnenswert. Man kann als Waldbesitzer oder Gemeinde für die Besucherinnen und Besucher einen Mehrwert schaffen und ihnen aufzeigen, dass der Wald mehr ist, als ein Ort für Hundespaziergänge, Jogging- oder Bike-Runden.

 

Existiert dafür wirklich ein Markt?

Es gibt viele Menschen, die auf der Suche nach Ruhe und Kontemplation sind. Daher wäre es sehr zu begrüssen, wenn auch «stille» Aktivitäten ihren Platz im Erholungsraum Wald erhalten würden und nicht nur Action-Angebote wie Baumwipfelpfade, Seilparks, Bogenschiessparks. Zudem erfordert Waldbaden seitens der Gemeinden absolut keine Investitionen in die Infrastruktur. Es wäre toll, wenn die Waldbesitzer Waldbaden-Pfade einrichten könnten, quasi analog zu den Vitaparcours oder gewissen Themen-Wegen in Naturparks. Ich biete hierzu mit meinen Partnerunternehmen DialogN Beratungen für Planungen und Umsetzungen an.

 

Könnte all dies die Wertschätzung, den Respekt und das Verständnis der Bevölkerung für den Wald und die Arbeit von Forstwarten und Förstern fördern? 

Wir erleben in unseren Veranstaltungen immer wieder, dass wir durch das Vorleben des achtsamen Umgangs mit der Natur die Menschen inspirieren. Danach gehen sie viel respektvoller mit der Natur um und wissen die Arbeit von Forstleuten und Waldbesitzern vermehrt zu schätzen. 

In einigen Ländern gibt es bereits Waldtherapie auf Rezept. In 

Deutschland läuft derzeit unter dem Titel «Klinische Waldtherapie» eine vom Bund geförderte landesweite Studie. Der Wernigeröder Wald im Bundesland Sachsen-Anhalt ist 

die erste von vier geplanten 

Forschungsstätten. Ist so was

auch in der Schweiz denkbar?

Ja, klar. Und auch sehr sinnvoll als Ergänzung zu den Therapiesettings, die immer noch sehr oft im Innenraum stattfinden. Es ist eine wissenschaftlich bestätigte Tatsache, dass sich vor allem Menschen im urbanen Umfeld von der Natur entfremdet haben. Waldbaden bietet eine gute Möglichkeit, um den emotionalen Bezug zur Natur und zum Wald wieder zu fördern. Mir ist es ein sehr grosses Anliegen, mich dafür einzusetzen, dass konsequent auch öffentliche Gelder dafür eingesetzt werden, damit mehr Leute auf nachhaltige und gesundheitsfördernde Art in die Natur gehen. Waldbaden ist eine achtsamkeits- und naturbasierte Gesundheitsförderung für Körper, Nervensystem und Geist. Die Methode hat das Potenzial, viele Menschen dabei zu unterstützen, sich regelmässig eine entschleunigende und entspannungsfördernde Auszeit im Wald und der Natur zu gönnen.

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